In diesen Tagen sind Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe Q1 in Begleitung von Stefan Temp und Nicole Preissler auf einer Fahrt zur Gedenkstätte Majdanek (Polen). Dort setzen sie sich sehr intensiv mit den Verbrechen des Nationalsozialismus auseinander.

Die Geschichtsinteressierten berichten:

Dienstag, 18. April

Wir melden uns heute und an den kommenden Tagen, um von unserer diesjährigen Gedenkstättenfahrt nach Lublin und zum ehemaligen deutschen Konzentrationslager Majdanek zu berichten. Wir erzählen von unseren Erfahrungen und Eindrücken und dem, was wir zur neueren Geschichte Deutschlands lernen und halten euch auf dem Laufenden.

Heute, am Dienstag, sind wir am frühen Morgen mit dem Zug nach Düsseldorf gefahren und von dort mit einiger Verspätung nach Warschau geflogen. In Warschau gab es zunächst einige organisatorische Dinge zu erledigen wie z.B. Geld wechseln, Koffer unterbringen und etwas essen.

Anschließend sind wir zu Fuß in den Teil der Innenstadt aufgebrochen, in dem das jüdische Ghetto lag, ein strikt abgegrenzter Teil der Stadt, in dem die jüdische Bevölkerung zusammengepfercht leben musste.

In den Straßenzügen des Ghettos lebten zeitweise ca. 450.000 Menschen unter katastrophalen Bedingungen. Schon seit 1942 waren durch Hunger, Krankheiten, vor allem aber durch Giftgas im Vernichtungslager Treblinka Hunderttausende von Menschen ermordet worden. Als das Ghetto schließlich ganz aufgelöst werden sollte, entschieden sich die verzweifelten Menschen für eine Aufstand. Obwohl ein Kampf eigentlich aussichtslos war, begann der berühmt gewordene „Aufstand im Warschauer Ghetto“ am 19. April 1943. Trotz der aussichtslosen Lage schafften es die Juden Warschaus, den deutschen Besatzern bzw. der SS vier Wochen Widerstand zu leisten. Nach der Niederschlagung des Aufstandes wurden fast alle übriggebliebenen Juden getötet. Da wir am 18. April das Museum besucht haben, waren dort große Vorbereitungen im Gange, mit denen einen Tag später der 80. Jahrestag des Aufstands begangen wird. Als Zeichen der Solidarität mit den Juden und im Gedenken an den Aufstand tragen die Bürger Warschaus an diesem Tag gelbe Narzissen oder legen diese an bestimmten Orten nieder.

Heute steht im Zentrum des ehemaligen Ghettos das POLIN-Museum, ein sehr neues Museum zur Geschichte der polnischen Juden. Das Museum ist sehr modern, abwechslungsreich und interaktiv gestaltet und bietet in vielen Bereichen Einblicke in die 1000-jährige Geschichte der Juden in Polen: in ihre Kultur, Sprache, Religion, das Zusammenleben mit den katholischen Polen, die Leidenszeit mit Pogromen und Ausgrenzung aber auch die Blütezeit und den lebendigen Austausch mit den anderen Kulturen Europas. Beeindruckt waren wir von dem lebendigen Rundgang, auf dem das Leben der Juden in Polen sichtbar und hörbar gemacht wird.

Direkt vor dem Museum steht das bekannte Mahnmal zum Aufstand im Warschauer Ghetto, was vielen Deutschen bekannt ist, weil 1970 der damalige Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) dort spontan auf die Knie niedersank und so die Schuld und Verantwortung der Deutschen wortlos eingestand. Dort haben wir ein Gruppenfoto gemacht und sind abschließend zu dem Ort am Rand des ehemaligen Ghettos gegangen, der „Umschlagplatz“ genannt wurde. Hier mussten sich jeweils Tausende von Menschen zu bestimmten Daten einfinden und wurden von dort zum Bahnhof geführt, wo sie in Viehwaggons steigen mussten. Das Ziel war ihnen nicht bekannt bzw. es wurde ihnen erzählt, sie kämen in ein Arbeitslager, aber die Fahrt führte für fast alle von ihnen in den Tod.

Am Abend des Tages fuhren wir mit dem Reisebus weiter nach Lublin, unser eigentliches Reiseziel und erreichten unser Hostel um 23:30 Uhr. Morgen kommt ein weiterer langer und spannender Tag auf uns zu.

Mittwoch, 19. April

Heute melden wir uns aus Lublin, unserem eigentlichen Ziel der Gedenkstättenfahrt.

Es stand eine ausführliche Stadtführung auf dem Programm, während der wir vielfältige Eindrücke von Lublin gewonnen haben. Die Stadt mit ca. 330.000 Einwohnern – übrigens eine Partnerstadt von Münster – hat mehrere Universitäten und beherbergt seit etwa einem Jahr außerdem mehrere Zehntausend ukrainische Flüchtlinge. Lublin ist über 700 Jahre alt und deshalb ist der heutige Bericht ziemlich geschichtslastig. Das Stadtwappen zeigt einen Ziegenbock, der im Stadtbild an einigen Stellen präsent ist.

Vor dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust lebten hier in Lublin ungefähr 120.000 Menschen mit vielen aus unterschiedlichen Volksgruppen mit verschiedenen Kulturen und Religionen bzw. Konfessionen zusammen. Eine der größten Minderheiten war die jüdische Bevölkerung mit rund 40.000 Personen, die seit dem Mittelalter in verschiedenen Stadtteilen, besonders der Unterstadt lebte.

Lublin wurde im 19. Jahrhundert das „Jerusalem des Ostens“, wo sich Juden aus allen Teilen Europas und sogar Amerikas bildeten und an der berühmten Jeshiwa (eine Schule zum Studium der Auslegung der jüdischen religiösen Schriften) studierten. Noch heute ist eine kleine Synagoge in dem beeindruckenden Gebäude zu besichtigen, das nur deshalb erhalten blieb, weil die deutsche Wehrmacht es als Krankenhaus nutzte.

Auch in Lublin gab es ein jüdisches Ghetto, in dem die Juden gezwungenermaßen auf engstem Raum zusammenleben mussten. Das Ghetto wurde ab 1942 in mehreren Wellen verkleinert und die dort lebenden Juden in das Vernichtungslager Belzec deportiert und dort umgebracht. Heute sind auf dem Gebiet des Ghettos entweder neue Wohngebiete entstanden oder aber es sind Parkanlagen, ein Busbahnhof und ein großer Parkplatz an die Stelle getreten. Man sieht nur sehr wenige Überreste der reichen jüdischen Kultur und ein polnischer Historiker prägte dazu den Satz „Misstraut den Grünanlagen“. Damit meinte er, dass große Freiflächen an zentralen Stellen einer Großstadt darauf hinweisen, dass hier einmal etwas anderes gewesen sein muss und dass dieses Andere zerstört worden ist.

Lublin war nicht nur eine wichtige Stadt für das Judentum, sondern auch die deutschen Soldaten und Besatzer hatten vor, Lublin in ihrem Sinne zu „nutzen“. In Lublin hatte die SS (Schutzstaffel) die Kommandozentrale der sog. „Aktion Reinhardt“ eingerichtet. Dahinter verbarg sich der Plan, alle Juden, die im sog. „Generalgouvernement“ lebten, und das waren ca. 2 Millionen Kinder, Frauen und Männer, systematisch zu ermorden. Lublin war nicht nur der der SS mit dem Konzentrationslager Majdanek direkt neben der Stadt. Von hier aus wurden auch die Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka verwaltet. Das Gebäude, in dem der Planungsstab der SS die „Aktion Reinhardt“ plante und durchführte, ist heute ein Gebäude der juristischen Fakultät in Lublin. Nichts an oder in dem Gebäude erinnert an seine frühere „Nutzung“ und Bedeutung.

Auch vor rund 500 Jahren spielte Lublin schon eine wichtige Rolle in der Geschichte Polens. Zu dieser Zeit wurde die polnisch-litauische Union gegründet, ein riesiges Reich von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Diese damalige Union ist heute noch in Lublin präsent und gilt als historisches Vorbild für die Europäische Union und das friedliche Zusammenarbeiten verschiedener Staaten. Ein „Portal“, das sowohl in Lublin als auch in Wilnius steht, zeigt Live-Bilder aus der jeweils anderen Partnerstadt.

Am Ende noch ein kleiner Nachtrag zu gestern: Wer heute, also am Mittwoch, mal in die Nachrichten geschaut hat, der hat gesehen, dass Bundespräsident Steinmeier heute an genau dem Ort gestanden hat, an dem wir gestern in Warschau waren. Dort haben er, wie auch der israelische und der polnische Präsident Reden gehalten, die den Beginn des Aufstandes im Warschauer Ghetto genau vor 80 Jahren zum Thema hatten.

 

Donnerstag, 20. April

Heute könnt ihr und können Sie einen spannenden Bericht über die Gedenkstätte am Ort des ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslagers Majdanek lesen.

Nur einige Busstationen entfernt vom Stadtzentrum von Lublin erstreckt sich das Gelände des KZ Majdanek auf einer riesigen Fläche von 90 Hektar. Der größte Teil der Fläche ist heute freies Gelände, trotzdem sind dort ungewöhnlich viele Originalbauten und authentische Gebäude zu besichtigen. Geplant war das KZ noch wesentlich größer, denn es sollte ursprünglich bis zu 250.000 Häftlinge fassen können.

In Majdanek sind etwa 80.000 Häftlinge ums Leben gekommen, davon die meisten durch Schwerstarbeit in Kombination mit Krankheiten, Unterernährung und Terror durch die SS-Leute. Außerdem gab es zwei Gaskammern, in denen insbesondere jüdische Menschen durch Blausäure (Zyklon B) oder Abgase (Kohlenmonoxid) vergast wurden.

Wir sind heute den Weg gegangen, den auch die Häftlinge damals gehen mussten: vom Eingang des Lagers, wo heute das gigantische Tor als Mahnmal steht, zum Eingang in den Häftlingsbereich, das sog. „Schutzhaftlager“. Direkt nach dem Betreten dieses Lagerteils, der durch einen doppelten Stacheldrahtzaun und Wachtürme vom übrigen Lagerbereich abgetrennt ist, befindet sich der sog. „Rosengarten“. So nannten die SS-Männer den Selektionsplatz. Dort wurden die arbeitsfähigen von den nicht arbeitsfähigen Menschen selektiert (=getrennt). Dies geschah in sehr kurzer Zeit, in der Tausende von Personen in zwei Gruppen geteilt wurden. Besonders Kinder und alte oder kranke Leute wurden von den anderen getrennt und am selben Abend in den Gaskammern ermordet.

Die Häftlinge des KZ Majdanek lebten unter den schlimmsten Bedingungen in dem Lager. Sie waren in Baracken aus Holz untergebracht, die eigentlich fensterlose Pferdeställe waren, in denen normalerweise 300 Menschen, aber manchmal auch mehr als 500 Menschen übernachten mussten. Es gab keine sanitären Anlagen, kein fließendes Wasser und keine Heizung. Der Hunger und die Läuseplage quälten die Menschen am meisten. Hinzu kamen Willkür und Schläge von SS-Wachen, unter denen auch Frauen waren, und die härteste körperliche Zwangsarbeit. Wegen dieser Bedingungen und der extremen Mangelernährung betrug die Lebenserwartung eines normalen Häftlings nur ungefähr zwei Monate. Täglich starben Dutzende oder sogar Hunderte an Häftlingen, die bei den morgendlichen und abendlichen Zählappellen mit aus der Baracke gezogen werden mussten, um festzustellen, dass alle Häftlinge noch da waren und niemand geflohen war.

Tatsächlich gab es auch Widerstand und Fluchtversuche in Majdanek, von denen einige filmreif sind. So organisierte sich ein junger polnischer Häftling, der als Ingenieur in einer Autoschlosserei auf dem KZ-Gelände arbeiten musste, den oberen Teil einer SS-Uniform. Abends zog er die Uniform an, gab sich als SS-Mann aus und floh aus dem Lager, indem er eine Probefahrt vortäuschte – dabei versteckte er noch zwei Kameraden in dem Wagen. Man sieht: es gab auch Hoffnung und Mut unter den Häftlingen.

Die vielen Toten in Majdanek wurden verbrannt, entweder auf Scheiterhaufen oder im Krematorium, wo fünf Verbrennungsöfen betrieben wurden. Die fürchterliche Arbeit des Verbrennens und des Transportes der Toten und der Asche mussten andere Häftlinge machen, die das sog. „Sonderkommando“ bildeten.

Am 3. und 4. November 1943 wurden alle bis dahin noch lebende jüdische Menschen aus Lublin und Umgebung erschossen, was die Nationalsozialisten „Aktion Erntefest“ nannten. Dabei wurden allein in Majdanek ca. 18.000 Menschen ermordet. Die SS und die deutschen Polizisten brauchten einen ganzen Tag für die Tötung der Menschen. Während der vielen Stunden lief laut Musik, um den Lärm der Schüsse und die verzweifelten Schreie der Menschen zu übertönen. Aber es gibt viele Berichte der anderen Häftlinge, z. B. von polnischen Widerstandskämpfern, die die Ereignisse dieses Tages bezeugen.

Heute steht in der Nähe der Erschießungsgräben und des Krematoriums ein weiteres riesiges Mahnmal in Form einer Urne, in dem die Asche und die Überreste von Tausenden von Toten aufbewahrt werden. Ein Zitat sagt dort: „Unser Schicksal, eine Mahnung für euch“.

Der heutige Tag war lang und herausfordernd für uns. Sehr viele neue Eindrücke haben wir bekommen und viele neue Dinge erfahren, die man nicht aus Büchern lernen kann. Morgen fahren wir noch einmal nach Majdanek, um uns mit verschiedenen Aspekten gründlicher auseinanderzusetzen.

Freitag, 21. April

Am heutigen Freitag waren wir, wie gestern, in der Gedenkstätte bzw. im ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek. Im Seminarraum der Gedenkstätte haben wir mit verschiedenen Materialien, wie z. B. Fotos und Tagebucheinträgen, Zeugenberichten, biographischen Texten usw. an konkreten Themen und Fragestellungen gearbeitet.

Es standen verschiedene Themen zur Auswahl, wie z. B. Formen des Widerstands im Lager, Fluchtversuche, Arbeitsbedingungen, zur Rolle von Kindern, zur „Aktion Erntefest“, zu verschiedenen Täterinnen und Tätern, zur Rolle von deutschen Unternehmen bei der Lieferung von „Zyklon B“ und Auszüge aus dem Tagebuch von Jadwiga Ankiewicz. Interessant waren alle Themen, aber zwei davon möchten wir kurz vorstellen:

Das Tagebuch von Jadwiga Ankiewicz

Die 15-jährige Jadwiga Ankiewicz wurde bei einer sog. Straßenrazzia in Warschau verhaftet. Bei dieser Art von Razzia verhafteten die Deutschen willkürlich irgendwelche Personen an einem beliebigen Ort, um eine Gruppe von Zwangsarbeitern aus ihnen zu bilden. Das bedeutet, dass Jadwiga, die keine Jüdin war und einfach sich zur falschen Zeit am falschen Ort befunden hatte, eine Nacht in dem Gestapo-Gefängnis von Warschau verbrachte und dann ca. 24 Stunden lang mit einem Zug nach Lublin/Majdanek transportiert wurde. Dort angekommen musste sie sich einen Platz in einer der Frauenbaracken erkämpfen, die überfüllt waren. Sie hatte während ihrer Haft, die „nur“ zwei Monate dauerte, die Gelegenheit, ein Tagebuch zu schreiben. Das war natürlich illegal und stellt heute eine extrem seltene Quelle dar, weil so gut wie alle anderen Berichte von ehemaligen Häftlingen im Nachhinein und aus der Erinnerung geschrieben wurden. Unter Lebensgefahr schrieb Jadwiga also ihr Tagebuch und schmuggelte es bei ihrer Entlassung aus dem Lager. Die Entlassung aus Majdanek geschah genauso plötzlich und willkürlich wie ihre Verhaftung. Sie schaffte es, von Lublin nach Warschau zurückzukehren. Bedauerlicherweise wurde Jadwiga noch während des Krieges unter ungeklärten Umständen im Alter von 17 Jahren erschossen und nur das Tagebuch blieb erhalten. Es wurde erst vor wenigen Jahren gefunden und ins Deutsche übersetzt und zeigt uns heute ganz unmittelbare Eindrücke aus dem Lageralltag.

Die sog. „Aktion Erntefest“

Aus Angst vor Aufständen von jüdischen Häftlingen, wie z. B. im Vernichtungslager Sobibor einer erfolgreich stattgefunden hatte, beschloss die SS im Herbst 1943, alle noch lebenden Jüdinnen und Juden in Majdanek zu ermorden. Dieses Vorhaben nannte die SS ein „Erntefest“. Am 3./4. November 1943 wurden allein in Majdanek etwa 18.400 Juden innerhalb eines Tages erschossen. Die Juden mussten die Erschießungsgräben selbst ausheben, während alle anderen Häftlinge, die keine Juden waren, in ihren Baracken eingesperrt wurden. Die SS und deutsche Polizeieinheiten erschossen die Jüdinnen und Juden innerhalb von zehn Stunden mit einer Mittagspause, in der sie nach Lublin fuhren, um dort zu essen. Während der Erschießungen wurde laute Musik abgespielt, um den Lärm und die verzweifelten Schreie zu übertönen. Im gesamten Raum Lublin wurden an diesen beiden Tagen insgesamt 42.000 Erschossen. Mit der „Aktion Erntefest“ endete offiziell die „Aktion Reinhardt“ zur Ermordung aller jüdischen Menschen im Generalgouvernement.

 

Samstag, 22. April

Der letzte Tag unserer Fahrt hat begonnen, denn morgen liegen nur noch eine Reflexionsrunde und die Rückreise vor uns. Heute haben wir einen langen Tagesausflug unternommen, der uns relativ nahe an die Grenze zwischen Polen und der Ukraine gebracht hat. Ziel der Tagesfahrt war das ehemalige Vernichtungslager Belzec, welches das erste Vernichtungslager der sog. „Aktion Reinhardt“ war. (Anm.: Wer nicht mit den weiteren Einzelheiten der systematischen und massenhaften Ermordung von Menschen konfrontiert werden möchte, sollte an dieser Stelle nicht weiterlesen!)

Ein Vernichtungslager unterscheidet sich von anderen Konzentrationslagern dadurch, dass es einzig und allein den Zweck verfolgt hat, möglichst viele Menschen zu ermorden. Daher kommt es, dass Belzec flächenmäßig wesentlich kleiner als Majdanek ist und direkt neben der Bahnstrecke Lublin – Lemberg (Lwiw) liegt. Die Jüdinnen und Juden, die ermordet werden sollten, kamen in Zügen an dem Lager an und sahen nur hübsche Häuschen, Blumenbeete und eine Hecke aus Tannen, wenn sie aus den Viehwaggons ausstiegen. Allerdings waren die Transporte manchmal mehrere Tage unterwegs und es waren schon viele von den Menschen in den Waggons gestorben, denn mindestens 100 Menschen wurden gezwungen, in einen Waggon zu steigen und blieben dort den ganzen Transport über – ohne Nahrungsmittel, sanitäre Möglichkeiten oder Schutz vor dem Wetter.

Den Menschen wurde also vorgegaukelt, dass sie an einem schönen Ort angekommen seien, der einem hübschen Dorf glich. Sie stiegen deshalb bereitwillig aus den Waggons und folgten den Anordnungen der SS-Männer, die ihnen vorlogen, sie müssten arbeiten und daher zunächst duschen. Es erschien den Menschen sinnvoll, dass man sich dazu auszieht und auch nach Geschlechtern trennt. Die Menschen erhielten runde Steinplättchen mit Nummern darauf, wenn sie ihre Kleidung ablegten und so wurde ihnen vorgespielt, sie würden die Kleidung später zurückerhalten. Die Frauen und Mädchen wurden zu einer Baracke gebracht, in der man ihnen die Haare abschnitt. Die Haare wurden übrigens verkauft und zur Herstellung von Socken verwendet. Während die Frauen in der Baracke waren, wurden die Männer und Jungen schon in einen Bereich hinter die Hecke aus Bäumen geführt. Vor sich sahen sie nur einen langen Weg, der wieder durch Bäume auf beiden Seiten abgeschirmt war. Vermutlich hatten an dieser Stelle schon viele von ihnen erkannt, dass vor ihnen keine Arbeitsbaracken, Werkstätten, Felder oder dergleichen lag. Außerdem muss es wegen der Tausenden von Ermordeten im gesamten Lager Belzec schrecklich gestunken haben. Vor den Menschen lag einzig noch der Tod.

Die Männer wurden nun in die Gaskammern getrieben. Es gibt nur sehr wenige Berichte dazu, aber dort ist zu lesen, dass die Kammern so voll waren, dass die Menschen nicht umfallen konnten, selbst dann nicht, als sie schon tot waren. Durch die Abgase eines erbeuteten russischen Panzers wurden die Menschen erstickt, was bis zu einer halben Stunde dauern konnte. Die Toten wurden auf der Rückseite der Gaskammern herausgezogen, die Kammern notdürftig gereinigt und dann wurden die Mädchen und Frauen, die bis dahin in den Baracken gewartet hatten bzw. warten mussten, in den gleichen Gaskammern ermordet. In Belzec waren sechs Gaskammern in Betrieb.

Das Vernichtungslager Belzec existierte nur von März 1942 bis Dezember 1942. In diesem kurzen Zeitraum ermordeten die Nationalsozialisten dort 450.000 überwiegend jüdische Menschen – Frauen, Kinder, Männer. Andere Zahlen zu den Opfern schwanken zwischen 435.000 und über 500.000. Der Grund dafür ist, dass die Namen der Opfer nirgendwo aufgeschrieben wurden und nur pro Waggon geschätzt wurde.

Auf die ungefähr 450.000 ermordeten Menschen kamen nur drei Überlebende, die einen Bericht über Belzec hinterlassen konnten. Dazu gehört der Bericht von Rudolf Reder aus Lemberg, einem Angehörigen des Sonderkommandos, dass die Leichen aus den Gaskammern in die Massengräber bringen musste.

Heute sind in der Gedenkstätte Belzec keine Gebäude mehr zu sehen, denn Heinrich Himmler, Chef der SS, hatte befohlen, das gesamte Lager zu zerstören, alle Spuren zu beseitigen und einen Bauernhof auf dem Gelände zu errichten. Glücklicherweise konnte das Wissen um diesen schrecklichen Ort die Ereignisse aber bewahrt werden. Heute sieht man dort stattdessen einige symbolische Skulpturen bzw. Bauwerke, die an die Opfer erinnern. Die sog. „Mauer der Tränen“ und einen sehr großen Davidstern auf mehreren großen rostroten Eisenplatten, dessen Form so gebildet wird, als wenn dort Eisenbahnen entlanggefahren wären. Dort, wo die Massengräber waren, liegt heute das sog. Todesfeld, übersäht mit Schlacke und ohne Pflanzen darauf.

Neben diesen symbolischen Elementen gibt es dort ein kleines, aber feines und extrem gutes Museum, das man gut besuchen kann und welches die Besucher nicht durch seine Größe erschlägt.

Nach dem Besuch dieses denkwürdigen Ortes haben wir auf dem Rückweg in der Stadt Zamosz gehalten. Diese Stadt wurde von einem italienischen Architekten entworfen und hat einen der schönsten Marktplätze, die man sich denken kann. Der oben erwähnte Heinrich Himmler wollte die Stadt in „Himmlerstadt“ umbenennen und sie zu einem Zentrum einer neuen deutschen Oberschicht machen – dazu ist es glücklicherweise niemals gekommen.

Das war unser letzter Tag. Und es war auch der eindrucksvollste Tag. Wir haben auf der Fahrt sehr viele neue Eindrücke gewonnen und sehr viel gelernt. Wir sind der Frage: „Wie konnte es zu so etwas wie dem Holocaust kommen?“ oder „Was bringt Menschen dazu, anderen Menschen so etwas anzutun?“ ein kleines Stückchen nähergekommen. Aber wichtiger ist, dass wir haben erkannt und uns vorgenommen haben: „So etwas darf nie wieder passieren!“ und wir schauen hin und machen den Mund auf, wenn in unserer Umgebung jemand rassistische Äußerungen macht oder sich menschenverachtend verhält.

Vielen Dank für das Lesen!